Der Gonkel

Ein Gonkel? Was ist denn das? Ganz einfach: der schwule – neudeutsch: gay – Onkel. In diesem Fall: ein 41-jähriger Mann, Journalist, Single, ungebunden, keine Kinder, keine Haustiere und auch keine Grünpflanzen (dazu später mehr). Stattdessen: zwei Neffen, eine pubertierende Nichte sowie viele Kinder von Freundinnen und Freunden, deren Namen er sich nur äußerst schlecht merken kann.

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Wo sind die Frühlingsgefühle?

 
Na endlich! Nach einem Winter, der kein Winter war, hat uns nun der Frühling erreicht. Aber die sprichwörtlichen Säfte, sie fließen derzeit nicht in mir, sondern nur in den Narzissen, die mir von aufmerksamen Mitmenschen geschenkt werden und bereits nach wenigen Tagen das Zeitliche segnen. Frühlingsgefühle? Fehlanzeige! Gründe hierfür gibt es viele. Angefangen bei Corona über Stress auf der Arbeit bis hin zu den Dating-Apps, bei denen meist nur Nachrichten wie „Looking for fun?“ im Posteingang landen. Wohlgemerkt: als erste Nachricht … und nicht als Ergebnis eines langen Chats.
 
Zwei meiner Freundinnen wollen mich aufgrund meines dahinsiechenden oder gar inexistenten Liebeslebens bei der TV-Show „First Dates“ anmelden. Für alle, die das Format nicht kennen: Bei einem Blind Date treffen zwei Singles in einem Restaurant aufeinander. Beide können nach dem Hauptgang (Dessert gibt’s leider nicht!) entscheiden, ob sie das Gegenüber noch einmal wiedersehen möchten. Das ist in weniger als 50 Prozent der Paarungen der Fall. Und selbst danach ist kein Liebesglück garantiert. Meist bricht einer der beiden Kandidat*innen den Kontakt ab oder verliert das Interesse, wie im Abspann zu erfahren ist. 
 
So, zurück zu mir: Meine Freundinnen lieben die Show und sind ganz wild darauf, mich um 18 Uhr auf VOX zusammen mit Millionen anderer Fernsehzuschauer*innen beim Flirten zu beobachten. Nachdem ich kürzlich – ich war aufgrund einer Krankheit ans Sofa gefesselt – das Ganze drei Abende lang aufmerksam verfolgt habe, steht jedoch fest: An diesem Spektakel werde ich garantiert nicht teilnehmen!
 
Grund Nummer 1: Die Kandidat*innen werden derart schlecht gecastet, dass ein Happy End für beide von Anfang an quasi ausgeschlossen ist. Ein Kandidat erklärte im Einzelgespräch etwa, dass das Gegenüber optisch überhaupt nicht sein Fall sei. Grund Nummer 2: Bei den schwulen Pärchen ist meist ein Mann dabei, der extrem unsympathisch ist, den Mund nicht aufbekommt oder seinem Datingpartner mit Arroganz begegnet. Grund Nummer 3: Ich will nicht, dass beim Abschlussgespräch mein kleines Herz gebrochen wird, ich „ja, ich will ein zweites Treffen“ sage und der andere Kerl dann mit einem „ich finde dich ganz sympathisch, aber von meiner Seite besteht kein Interesse“ antwortet. Und last but not least, Nummer 4: die wohl unausweichliche Anfrage der hiesigen Tageszeitung mit der Absicht, einen Artikel über mich zusammenzuschustern.
 
Ein ähnliches Trauma habe ich – selbst verschuldet – schon vor einer Dekade durchlaufen: Ich war einer der Singles bei den „Ehrlichen Kontaktanzeigen“ des Magazins „NEON“. Dateanfragen sind im Anschluss nicht bei mir eingetrudelt. Nur ein Kerl schrieb mir auf einem einschlägigen Portal: Er wollte eine Bestätigung haben, dass ich der Typ aus dem Magazin sei. Einen Beweis für diese Schmach gibt es zum Glück nicht, denn ich und auch mein Umfeld haben die entsprechende Magazinausgabe nicht aufgehoben. Wer „Ehrliche Kontaktanzeigen“ in Verbindung mit meinem Vornamen in die Google-Suche eingibt, wird ebenfalls nicht fündig. Alle Folgen von „First Dates“ sind dagegen für immer und ewig in der Mediathek abrufbar oder schwimmen in einer Cloud umher – eine der vielen Schattenseiten der Neuzeit. Wenn es ganz schlecht läuft, landet man sogar als „Ausschnitt“ mit eigenem Buzzer bei „TV total“. Und das will ja nun wirklich niemand!
 

Diese ganzen Sorgen oder Vorbehalte teilen meine beiden Freundinnen natürlich nicht. Sie wissen ja noch nicht mal, wie das überhaupt funktioniert: Dating in digitalen Zeiten, mit einem Überangebot an potenziellen Partner*innen, mit Ablenkungen aller Art und einer enttäuschenden Feedback-Rate. Die beiden Kupplerinnen haben ihre große Liebe jeweils zu einer Zeit gefunden, in der man von Tindern nicht einmal zu träumen wagte und „Herzblatt“ das einzige Kennenlernformat auf der Mattscheibe war. Das Thema Dating wird dann wieder in ihr Leben treten, wenn bei ihren Kids das erste Mal Frühlingsgefühle auftreten und die Hormone verrücktspielen. Ein Zustand, der bei den meisten meiner Freund*innen – so traurig es auch ist – schon längst einem langweiligen Beziehungsalltag gewichen ist.

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