Der Gonkel

Ein Gonkel? Was ist denn das? Ganz einfach: der schwule – neudeutsch: gay – Onkel. In diesem Fall: ein 41-jähriger Mann, Journalist, Single, ungebunden, keine Kinder, keine Haustiere und auch keine Grünpflanzen (dazu später mehr). Stattdessen: zwei Neffen, eine pubertierende Nichte sowie viele Kinder von Freundinnen und Freunden, deren Namen er sich nur äußerst schlecht merken kann.

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Das Phantom

Das Familienleben kann ganz schön stressig sein. Das weiß ich nicht aus erster Hand, denn ich habe weder einen festen Partner noch Kinder – zum Glück, wie ich häufig denke und auch gerne offen zugebe, wenn man mich darauf anspricht. Anders dagegen meine Freundinnen und Freunde, die fast alle einen Ring am Finger tragen oder in monogamen Langzeitbeziehungen stecken (ja, sogar die Schwulen). Die Heteros haben zudem noch ein bis drei Kids an der Backe.

Und wonach sehnen sich diese Heteros? Na klar: nach ein paar ruhigen Stunden, ohne Geschrei … auch wenn das Familienleben das ist, wonach sie sich viele Jahre lang gesehnt haben. Und hier komme ich ins Spiel, der schwule beste Freund, mit dem man Sachen machen kann, die mit dem großen und kleinen Anhang nicht gut umsetzbar sind: sich gemütlich in ein Restaurant setzen, ein Bierchen trinken oder ungestört durch die Geschäfte schlendern. Selfcare könnte man das auch nennen. Große Partys sind leider auch mit mir meist nicht mehr drin, das Alter halt … Für einen Kinobesuch muss man mich jedoch nicht erst breitschlagen, das mache ich ganz freiwillig, etwa mit meiner Freundin C., die ab und an genug von ihren drei aufgedrehten Kids hat und einfach mal in Ruhe einen Film genießen will.

In der vergangenen Woche waren wir in „Wunderschön“, der Komödie von und mit Karoline Herfurth. Die Schauspielerin schlüpft darin in die Rolle der zweifachen Mutter Julie, die nicht nur mit ihrem Körper, sondern auch mit ihrer Situation als Heimchen am Herd mehr als unzufrieden ist. Selfcare? Dafür bleibt Julie kaum Zeit. Für das bisschen Spaß, das ihr im Leben bleibt, sorgt ihre beste Freundin Vicky, gespielt von Nora Tschirner, die aufgrund von Bindungsängsten nicht so recht an das Konzept der ewigen Liebe glauben möchte und auch nicht besonders viel mit Kindern anzufangen weiß … das kommt mir doch irgendwie bekannt vor.

Wenn C. und ich uns treffen, sind die Kleinen bei unseren Gesprächen kein Thema. Während beim Essen im größeren Kreis häufig mal über die guten und schlechten Seiten des Familienlebens diskutiert wird, werden bei einem 1-on-1 mit mir die Namen der Ableger nur dann in den Mund genommen, wenn ich explizit nach den kleinen Quälgeistern frage. Leider führt das Ganze auch dazu, dass ich die Kinder meiner Freunde – anders als meine Neffen und Nichten – niemals sehe … wirklich niemals. Sie könnten mir wie Schwerverbrecher hinter einem Einwegspiegel vorgeführt werden: Ich würde keines von ihnen erkennen.

Meine Freundinnen und Freunde können damit eigentlich ganz gut leben, bin ich doch ihre kleine Flucht vom Alltag. Selfcare auf zwei Beinen sozusagen. Die Rolle als Phantom nehme ich daher ganz gerne ein. Wobei so ganz unbekannt scheine ich dann doch nicht zu sein: Die Tochter von C. weiß offenbar ganz genau, wer ich bin … auch wenn sie mich seit einigen Jahren schon nicht mehr leibhaftig gesehen hat.

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